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Überlegungen zur zukünftigen Bejagung und Wildbestandsbewirtschaftung in und auf Kalamitätsflächen -Teil 1-
In NRW stehen wir vor über 140.000 ha Kalamitätsflächen. Die Waldbesitzenden und Forstleute stehen vor einem forstlichen Trümmerfeld, vor dem Verlust ihrer „Sparkasse“ und Altersvorsorge, sie und ihre Nachkommen vor der Mammutaufgabe der (schnellstmöglichen) Wiederbewaldung und die Öffentlichkeit vor dem Verlust riesiger, ehemals sehr produktiver Wirtschaftswälder und Rohstoffversorgung, sowie der dringlichen Wiederetablierung verlorener CO²-Speicherung durch unsere Wälder.
Die Rahmenbedingungen sind alles andere als einfach und hochkomplex
Tiefgründig ausgetrocknete, verkahlte Waldflächen lassen sich nur beschränkt „einfach“ wiederaufforsten.
Die trockenen Jahre 2018, 2019, 2020 und 2022 haben den Baumschulen so gut wie keine Saatguternte beschert. Schon jetzt ist Pflanzgut knapp und damit sehr teuer geworden. Die geforderten, „neuen Baumarten“ sind als Pflanzgut bisher nur in sehr begrenztem Umfang überhaupt verfügbar.
Fachlich gute Pflanzkolonnen sind ebenso rar und teuer geworden.
Der Klimawandel ist da, spür- und sichtbar. Mit komplexen Berechnungen, scheinbar deutlich vereinfacht in Programmen, APPs und Karten wiederzufinden, werden uns potentiell „neue“ Baumarten, ja, ganze „Waldentwicklungstypen“ dargelegt, die wohlmöglich den neuen, „klimaplastischen“ Wald bilden könnten…
Die Politik „lockt mit interessanten Förderprogrammen“ und übt, nicht zuletzt auf diese Art, nicht unerheblichen Druck auf die Waldeigentümer aus, die Aufgabe der Wiederbewaldung in Angriff zu nehmen. Die Wildbestände reagieren auf die sich „über Nacht“ radikal veränderten Lebensräume und Habitatstrukturen.
All das haben wir in NRW zuletzt nach Orkan „Kyrill“ (2007), wenn auch in deutlich geringerer Größenordnung bereits erlebt. D.h. aber auch, dass wir auf und in diese, inzwischen 16 Jahre alte „Vergleichsflächen“ schauen dürfen und sollten!
Wir wissen, wie sich diese Kahlflächen unter den klimatischen Bedingungen der letzten 16 Jahre zu dem entwickelt haben, was sie heute darstellen.
Wir können sehen, welche Baumarten auf diesen Standorten das Rennen machen. Sei es gepflanzt, gesät, oder aus einer mehr oder minder üppigen und hoffentlich bunt gemischten Naturverjüngung stammend. Sei es vor dem Einfluß des Wildes geschützt oder ungeschützt heranwachsend. Seien es mit teils erheblichem Aufwand gepflegte, oder gänzlich „ungepflegte“ Kulturflächen.
Wir haben erlebt, wie sich die Wildbestände, konkret auf diesen Kalamitätsflächen und insgesamt entwickelt haben: Über Nacht wurden aus Nadelholz-Reinbeständen mit brauner Nadelstreu und so gut wie keiner (lukrativen) Äsung auf dem Waldboden, blühende Landschaften mit einer reichhaltigen und abwechslungsreichen Krautflora. Die in der Vergangenheit übliche (und lebensnotwendige) Wanderungsbewegung des Wildes aus dem Einstand, aus der Deckung, hin und auf Äsung bietende Flächen gab es nicht mehr.
Die Habitatstrukturen verbesserten sich schlagartig, die Biotopkapazität stieg deutlich an. Das (wiederkäuende) Schalenwild fand auf diesen sich entwickelnden Freiflächen Deckung und Äsung auf gleicher Fläche. Am Ende boten diese Flächen deutlich mehr „Lebensräume“, Reviere für das Wild, die Bestände nahmen kontinuierlich weiter zu. Insbesondere das territorial und im kleinen Familienverband lebende Rehwild fand hier deutlich verbesserte Lebensbedingungen vor und reagierte mit erhöhtem Zuwachs. Zwillingskitze wurden die Regel, selbst Drillingskitze waren immer häufiger zu finden.
Die anderen, größeren, wiederkäuenden Schalenwildarten brauchten etwas mehr Zeit, bis sie sich mit den veränderten Habitatstrukturen arrangiert hatten. Insbesondere der Verlust von Tageseinständen (Stangenhölzern) hatte zu einem veränderten Rudelverhalten und veränderten, räumlichen Wanderungsbewegungen geführt.
Unsere Schwarzkittel, die Wildschweine waren in den ersten, wenigen Jahren nach dieser Katastrophe sicherlich ebenso stark betroffen. Innerhalb kürzester Zeit konnte diese, am stärksten und schnellsten reproduzierende, heimische Wildart auf Deckungs- und Dickungskomplexe in bisher ungeahnter Größenordnung zurückgreifen, was auch hier zu einem weiteren Populationsanstieg führte.
Nun erleben wir ein ähnliches Szenario wieder, dieses Mal jedoch in Potenz X…
Wir wissen also, was auf uns Alle zukommen wird:
Eine kurzfristig deutlich ansteigende Rehwildpopulation.
Eine dann folgende Verkrautung und ein weiteres Zuwachsen großer Flächen hin zu riesigen Dickungskomplexen, die dann auch das Schwarzwild wieder verstärkt in Beschlag nehmen wird.
Eine neue Generation Wald, deren Wüchsigkeit, Mischung und Entwicklung neben den klimatischen Bedingungen und dem menschlichen Dazutun auch ganz entscheidend von den dort auftretenden Wildtieren bestimmt sein wird.
Es ist an der Zeit zu handeln!
Bevor wir über eine (teure) Anpflanzung und deren ggf. notwendigen (noch viel teureren) Schutz nachdenken und bevor wir auf eine hoffentlich bunt gemischte Naturverjüngung hoffen und setzen, sollten wir uns zusammen mit den Grundeigentümern, den Forstleuten und der Jägerschaft Gedanken über die zukünftige Bejagung, bzw. die Gestaltung / Möglichkeiten der Jagd auf diesen Flächen machen.
Es wird nicht zielführend sein, die Flächen nun umgehend aus einem Guss bepflanzen zu wollen, in kürzester Zeit mit großen Deckungsbereichen die Bejagung nahezu unmöglich gemacht zu haben und dann über Wildschäden im Wald zu lamentieren.
Es kann nicht zielführend sein, den „Wald der Zukunft“ durch großflächige (und kostspielige) Einzäunungen vor dem Einfluß des Wildes schützen zu müssen und dann auf den ungezäunten Flächen über den dort zu findenden Wildverbiß zu klagen.
Es gilt mit einiger Fantasie und Weitsicht 5-10 Jahre in die Zukunft zu schauen und sich vor Augen zu führen, mit welcher Dynamik sich diese Flächen hin zu bürstendichten, großflächigen und unübersichtlichen Einständen hin entwickeln, aus denen sich das Wild dann auf benachbarte, landwirtschaftliche Flächen bewegt und dort ggf. erheblich zu Schaden geht.
Bei ggf. anstehenden Neu- / Wiederverpachtungen sollten sich die Grundeigentümer, insbesondere die Waldbesitzenden im Rahmen ihrer Jagdgenossenschaftsversammlungen verstärkt Gehör für ihre Sorgen und Nöte verschaffen und eine entsprechende Sensibilität beim Jagdpächter wecken.
Der Erfolg wird im ersten Schritt durch die Eigentümer bestimmt werden. Diese entscheiden, was auf ihren Flächen zukünftig wie passiert!
Es ist für mich nur logisch und ergibt sich am Ende auch so aus dem BJG, dass die Eigentümer den Jagdausübenden zuerst einmal in die Lage versetzen müssen (!), die Jagd auf diesen Flächen zukünftig und zielgerichtet ausüben zu können. Das ist die praktische Umsetzung der Pflicht zur Wildschadensminimierung.
Eine zugepflanzte oder komplett zugewucherte Fläche bietet dem Wild zwar hervorragende Deckung und Äsung, eine Bejagung in der Fläche ist aber schon nach kürzester Zeit nicht mehr möglich. Das Wild wird unsichtbar, der eintretende Schaden ggf. aber eben nicht…
In der Konsequenz heißt das für mich, nun, vor der Planung der eigentlichen (aktiven) Wiederaufforstung, der Kalkulation der sich über Naturverjüngung regenerierenden Flächen mit ggf. notwendiger, künstlicher Beimischung anderer Baumarten, umgehend eine jagdliche Erschließung über das Revier und in die Flächen zu legen.
Hier geht es im ersten Schritt nicht um die Standorte neuer Ansitzeinrichtungen, sondern um strukturierende Schneisen, Krähenfüße, „Bummelstreifen“ entlang von ehemaligen Holzlagerplätzen und Äsungsflächen, auf denen zukünftig eine Bejagung überhaupt noch möglich sein wird.
Diese gilt es auf der Karte zu planen, im Gelände festzulegen und anschließend mit schwerem Gerät (Forstmulcher/-fräse) auf mindestens 8 m Breite und entsprechender Länge dauerhaft anzulegen.
Eine geringere Breite wird nicht zielführend sein: Seitendruck, Überschirmung und Beschattung lassen solche Schneisen schnell unlukrativ werden, eine (lichtliebende) krautige Flora kann hier nicht gedeihen und eine ordentliche Bejagung wird hier ebenfalls nur schwer möglich sein.
Wir nutzen hier ggf. bereits vorhandene Rückegassen. Diese sind i.d.R. gute 4 m breit, dann rechts und links und eine Mulcherbreite hinzu, fertig.
Spätestens jetzt kommt die Frage nach der Bezahlung dieser grundlegenden Arbeiten:
Ich sehe hier die Eigentümer in der Pflicht. Sie möchten die langfristige Bejagung ihrer Grundfläche gesichert wissen. Sie leisten damit einen entscheidenden Beitrag dazu, den Wert der Jagdfläche auch in Zukunft aufrechtzuerhalten. Eine große Dickung mag zwar voller Wild stecken, eine Bejagung ist hier aber nur sehr eingeschränkt überhaupt möglich. Sie leisten hiermit ihren Beitrag zur gesetzlich geforderten Wildschadensminimierung.
In der Vergangenheit gab es Möglichkeit der Förderung hierzu. Diese wurde zwischenzeitlich wieder eingestellt. Leider. Leider muss man auch feststellen, dass selbst eine solche, überaus sinnvolle und zielführende, geförderte Maßnahme gewissen politischen Zwängen unterworfen zu sein schien. Anders ist es nicht zu erklären, dass man die Förderung der Anlage dieser (gehölzfreien) Jagdschneisen zwar explizit mit der Erleichterung / Ermöglichung insbesondere der Rehwild-Bejagung begründete, auf der anderen Seite aber eine Bewirtschaftung dieser, etwa durch Kalkung, Düngung und Einsaat, als nicht förderfähig eingestuft hatte. Unser Rehwild ist die „Naschkatze“ des Waldes (Konzentratselektierer), d.h. es werden bevorzugt abwechslungsreiche, krautige Pflanzen beäst. Wenn ich dieses zukünftig aus der üppigen und artenreichen Krautflora dieser Kalamitätsflächen auf meine Jagdschneise zum Zwecke der Erlegung „locken will“, geht dieses doch nur, indem ich dort eine bessere, schmackhaftere Äsung durch einen möglichst „leckeren“ und abwechslungsreichen Wildacker anbiete, als das Wild in den Kalamitätsflächen selbst findet. Paradox…
Es ist aktuell vorstellbar, dass es eine Förderung dieser Schneisen (-systeme) vor anderem Hintergrund geben könnte: Mit der Aufstellung des Waldbrandkonzeptes für NRW wurde dort klar festgestellt, dass der Anlage, Entwicklung und Pflege entsprechend breiter Schneisen mit niedrigem, dauergrünen Bewuchs im Zuge der Waldbrandprävention und -bekämpfung in den heranwachsenden monotonen und gleichaltrigen Kulturen mit z. T. erheblicher Vergrasung zukünftig eine erhöhte Bedeutung zukommt. Ähnliches wird in den Abschlußberichten der Feuerwehren zu den größeren Waldbränden der letzten Jahre erwähnt.
Ebenso sollten wir anführen, dass diese auflockernden, mit niedrig wachsenden, blühenden, krautigen Pflanzen angelegten Kleinstrukturen wertvolle Biotope für die übrige Tier- und Insektenwelt darstellen!
Zur Person:
Michael Sommer arbeitet mit der Forstkontor Sommer GmbH (www.forstkontor-sommer.de) in der Beförsterung und ganzheitlichen Bewirtschaftung verschiedener Waldbesitzungen in NRW. Er legt Wert auf die Bewirtschaftung des „Lebensraums Wald“, zu dem für ihn und sein Team neben der klassischen Forstwirtschaft, der Holzproduktion, auch die Aspekte jagdliche Bewirtschaftung, Natur- und Tierschutz, Tourismus und Erholungssuchende gehören.