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Die Bedeutung des richtigen Ansprechens
Sobald auch weibliches Schalenwild wieder Jagdzeit hat, ist ein gutes Auge und eine genaue Ansprache der weiblichen Stücke unerlässlich, um Fehlabschüsse zu vermeiden. Doch woran erkenne ich nun Alttier oder Schmaltier bzw. Ricke oder Schmalreh?
Anhand einiger Merkmale lassen sich weibliche Stücke sicherer ansprechen. Und in ihrer Gesamtheit sind die Ansprechkriterien gut geeignet, um nach dem Ausschlussverfahren vorzugehen. Ein schneller Schuss ist hier - vor allem für Jungjäger - riskant. Also lieber Zeit nehmen zum Ansprechen. Herrscht am Ende immer noch Unsicherheit über das Alter des Stücks, bleibt der Finger gerade.
Kahlwild - Wildbiologie
Um Kahlwild verlässlich anzusprechen, ist es lohnenswert, sich noch einmal die Wildbiologie der entsprechenden Wildarten vor Augen zu führen. In diesem Artikel sind das exemplarisch das Rotwild und das Rehwild.
Rotwild
Gesetzt werden die Kälber zumeist im Sommermonat Juni; anschließend werden sie dann bis in den Winter hinein sechs Monate lang gesäugt. Kennzeichnend für die ersten Lebensmonate sind die sogenannten Kälberflecken der Decke - eine gute Tarnung im Wald. Mit etwa 18 Monaten, zur Brunft im zweiten Lebensjahr werden die Jungtiere geschlechtsreif. Während der Hebstmonate findet die Brunft im September, teilweise bis in den Oktober hinein statt. Dieses eindrucksvolle Naturschauspiel dauert drei bis vier Wochen.
Abwurf und Schieben bei Hirschen:
Da Hirsche für eine kurze Zeit im Jahr ohne Kopfschmuck unterwegs sind, kann es nie schaden, zu wissen wann die Könige der Wälder abwerfen und ab wann sie ihr Folgegeweih schieben. Der Abwurf der beiden Geweihstangen erfolgt bekanntermaßen einmal im Jahr, etwa ab Ende Februar bis in den März hinein. Ab diesem Zeitpunkt beginnt das Schieben des neuen Geweihs.
Rehwild
Die Setzzeit des Rehwildes erstreckt sich von Ende April bis Anfang Juni. Zumeist wird ein Kitz gesetzt, aber auch zwei Kitze sind nicht ungewöhnlich. Gesäugt werden die Kitze ab dem Setzzeitpunkt bis in den Winter hinein. Auch Kitze tragen zu Beginn eine weiß getupfte Decke, die der Tarnung dient.
Die Geschlechtsreife erlangen die Jungtiere in einem Alter von 14 bis 18 Monaten. Beim Rehwild findet die Brunft meist von Mitte Juli bis Mitte August statt.
Abwurf und Schieben bei Böcken
Ebenso wie beim Rotwild schieben die Böcke einmal jährlich ein neues Gehörn. Die Abwurfzeit der Böcke liegt in den Herbst- und Wintermonaten. Auch hier wird nach dem Abwerfen der Stangen das Folgegehörn geschoben und anschließend im Frühjahr verfegt.
Jagdzeiten/Schonzeiten
Nicht nur bei der Jagd auf Kahlwild, sondern grundsätzlich sollte der Grünrock die Jagdzeiten und Schonzeiten der jeweiligen Wildarten vor Augen haben. Sei es im Kopf oder als Notiz auf dem Smartphone.
Ansprechmerkmale
Das Haupt
Das Haupt lässt oftmals einen ersten Schluss auf das Alter des Stückes zu. Charakteristisch für junge Stücke ist ein kindliches Haupt - sowohl bei Reh- als auch bei Rotwild. Vor allem bei Rotwild ist auch die Länge des Hauptes prägnant, sie ist bei Kälbern und Schmaltieren noch nicht so ausgeprägt wie bei Alttieren.
Auch die Gesichtszüge älterer Stücke sind wesentlich markanter und kantiger als bei jungen Stücken.
Der Träger
Bei jungen Stücken wie Kälbern und Schmaltieren, Kitzen und Schmalreh ist der Träger noch zart. Meistens eher schmal und hochgetragen im Gegensatz zu den Alttieren und Ricken. Hier ist der Träger meist kräftiger und wird tiefer getragen. Bei Alttieren ist mit zunehmendem Alter oft eine mehr oder weniger ausgeprägte Einsattelung zwischen Träger und Widerrist zu erkennen.
Das Gebäude/der Rahmen
Eines der wohl markantesten Ansprechmerkmale hinsichtlich des Alters von Schalenwild ist der Körperbau der weiblichen Stücke. Junge Stücke haben eine eher schmale Erscheinung, einen schlanken Körperbau, sowie eine gerade Bauchlinie und wirken sehr hochläufig. Schmalrehe weisen oftmals eine überhöhte Kruppe aus. Das ändert sich jedoch mit fortschreitendem Alter. Daher wirken ältere Stücke meist massiger und sind stärker im Wildbret. Die Rückenlinie fällt dann eher schräg nach hinten ab.
Gesäuge/Spinne & Kitze/Kälber
Idealerweise lassen sich führende Ricken oder Alttiere anhand eines gut ausgebildeten, prallen Gesäuges - der sogenannten Spinne - erkennen. Zur Setzzeit ist davon auszugehen, dass alle Alttiere und Ricken führend sind. Um den Schutz der Muttertiere zu gewährleisten, haben diese zur Setzzeit daher keine Jagdzeit. Schamaltiere und Schmalrehe jedoch schon, eine Verwechslung muss daher unbedingt vermieden werden. Ist kein freier Blick auf das Gesäuge möglich, muss auch hier die Kugel im Lauf bleiben. Das Auftreten eines einzelnen weiblichen Stückes hat in diesem Fall nur wenig Aussagekraft, denn oft liegen Kälber und Kitze in der Nähe, sind aber für uns Jäger in diesem Moment nicht sichtbar.
Rudelstruktur
Besonders hilfreich und aufschlussreich ist es, wenn die Stücke im Sprung oder im Rudel angesprochen werden können. Weitere Stücke bieten immer eine Vergleichsmöglichkeit. So sind meist einfachere Rückschlüsse möglich, welche Stücke die jüngeren einer Gruppe sind. Hier ist vor allem das Gebäude als Kriterium entscheidend, sowie die Körpergröße und das Erscheinungsbild des Hauptes. Oftmals ziehen z.B. Alttier, Schmaltier (Kalb des Vorjahres) und das Kalb diesen Jahres gemeinsam. In diesem Fall ist relativ einfach auszumachen, welche Stücke die jüngeren sind.
Jahreszeit
Um weitere Verwechslungen auszuschließen lohnt es sich, auch die aktuelle Jahreszeit im Hinterkopf zu behalten, bzw. an welchem Punkt des Jahreszyklusses sich die Stücke befinden. Wann verfärben die einzelnen Wildarten?
Rotwild: Mehrheitlich verfärbt das Rotwild im Mai, in die Winterdecke verfärbt es dann September bis Oktober
Rehwild: Zum Sommer hin verfärbt das Rehwild bereits im April und Mai, während der Wechsel zur Winterdecke ebenfalls im September und Oktober stattfindet.
Ein Merksatz, der uns allen hier in den Ohren klingeln sollte, lautet “jung verfärbt vor alt” - demnach lässt auch die Decke des einzelnen Stücks Rückschlüsse auf das Alter zu.
Stolperfallen beim Ansprechen
Hier und da lauern einige Stolperfallen in der Ansprache des Kahlwildes, denn die Natur lässt sich kaum pauschalisieren. Daher sehen logischerweise nicht alle Stücke des gleichen Alters auch gleich aus. Einige Kälber können in guten Jahren bereits früh sehr stark im Wildbret sein, wohingegen Schmaltiere durch eine schwache Konstitution auf den ersten Blick wie Kälber anmuten können. Gleiches gilt für Alttiere während der Aufzucht der Kälber. Da sich die Aufzucht als sehr kräftezehrend darstellt, kann die Statur eines solchen Alttieres der schlanken Figur eines Schmaltieres ähneln. Aus diesen Gründen ist es unumgänglich stets mehrere Merkmale eines Stückes anzusprechen. Es lohnt sich also immer auch die Jahreszeit, so wie den Jahreszyklus der jeweiligen Wildart im Hinterkopf zu behalten, um etwaige Rückschlüsse ziehen zu können.
Fazit & weitere Informationen
Schließlich muss man sagen: Nur die Kombination der verschiedenen Ansprechmerkmale kann uns eine Aussage über das beobachtete Stück liefern. Und selbst hier ist auf eventuelle Fallstricke zu achten. Wie in anderen unklaren Situationen gilt auch hier: Kann ich ein Stück nicht eindeutig ansprechen, bleibt der Finger gerade.
Jäger und Jägerinnen wird eine hohe Verantwortung übertragen. Daher lohnt es sich - nicht nur für junge und angehende Grünröcke - hier und da das Ansprechen zu üben. Sei es mithilfe des Internets, der Literatur oder mit dem Fernglas auf dem Ansitz selbst.
Die ganze Thematik rund um die Ansprache des Kahlwildes lässt sich weit detailreicher gestalten, als es dieser Artikel vermag. Wer sich zu diesem Themenkomplex weiter belesen möchte, dem seien folgende Bücher und Schriftwerke empfohlen:
- Rotwild Ansprechfibel von Hubert Zeiler & Paul Herberstein
- Jung oder alt? Schalenwild richtig ansprechen von Bernd Krewer, Bruno Hespeler
- Die Altersansprache des Schalenwilds: Sicher ansprechen - waidgerecht jagen von Burkhard Stöcker
Viel Erfolg beim Ansprechen & Weidmannsheil!