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Der Mai ist vorbei und damit auch die Zeit der Maiböcke. Für mich war es nicht nur der erste Maibock, sondern mein erstes erlegtes Stück überhaupt. Und an das erste Stück erinnert sich wohl jeder Jäger und jede Jägerin noch gut. Mal erfordert die Jagd mehr Geduld und Sitzfleisch, manches Mal mehr Spontanität und ein anderes Mal auch ein wenig Glück. Mein erstes Stück konnte ich ziemlich genau ein Jahr nach Bestehen meiner Jägerprüfung erlegen. Was mich erwartet hat, wie spannend alles war, aber auch wie man sich dem ersten Stück mental nähern kann, berichte ich in diesem Artikel.
Unverhofft kommt oft
Der Tag startet völlig unbedarft. Mit einer Freundin fahre ich ins Revier, um einen Sitz zu bauen und die Kirrungen zu kontrollieren. Unerwartet kommt mein Mentor Marlon dazu und überrascht uns mit einer großartigen Möglichkeit, noch am selben Abend an zwei vielversprechenden Sitzen auf Rehwild zu jagen. Gesagt – getan, denn nach einigen geduldigen Ansitzen ohne Rehwild-Anblick wollte ich die Gelegenheit unbedingt beim Schopf packen. Das Wetter war angenehm mild und sonnig, die Stimmung gut.
So viel soll verraten sein: Dieser Abendansitz war für mich herausfordernd und hindernisreich, jedoch bestätigt der Ausgang des Abends Marlon‘s guten Riecher und meine Fähigkeiten, die ich mir bisher im Waidwerk erarbeiten konnte.
Ansitz mit Hindernissen
Nach kurzer Anfahrt zum Ort des Geschehens gehen wir eine freistehende Panorama-Kanzel mit fast 360° Blick auf Waldränder. Nach kurzer Pirsch ist die Kanzel erreicht, doch beim Öffnen der Türe kommen uns mit lautem Brummen einige Hornissen entgegen – es werden zweifelnde Blicke gewechselt, doch nach kurzer Zeit sind alle Flugtiere aus der Kanzel verschwunden und wir richten uns ein. Für mich eine neue Erfahrung, heute auf einer komplett geschlossenen Kanzel zu sitzen. So schön der Ausblick ist, umso herausfordernder ist es für mich eine gute Auflage zu finden. Aber mit ein wenig experimentieren und nachjustieren klappt auch der Probeanschlag sehr gut.
Der erste Blick mit der Fernglas in die Szenerie zeigt uns ein weibliches Stück Rehwild beim entspannten Wiederkäuen. Nach kurzer Zeit erhebt es sich und lässt sich als führende Ricke ansprechen, wenige Sekunden später wird auch der Kopf des Kitzes sichtbar und einige seiner staksigen Gehversuche. Ein wundervoller Anblick.
Langweilig wird es heute nicht, da wir immer wieder damit beschäftigt sind, die Luken kurzfristig dicht zu machen, um die zurückgekehrten Hornissen davon abzuhalten, uns in der Kanzel Gesellschaft zu leisten. Der Wind tut sein Übriges und bringt Fenster und Tür fleißig zum Klappern. Auch hierfür finden wir eine Lösung, indem die Tür verkeilt und die Fenster mit Nachdruck zugehalten werden.
Alle Hindernisse, die anfangs gegen den Erfolg dieses Ansitzes hätten sprechen können, wurden fachmännisch behoben und so ist dann endlich Zeit, die Augen konzentriert auf die Fläche zu richten und sich in Geduld zu üben. Und wie es kommen sollte, werden im Fernglas die Konturen eines geringen Stücks Rehwild sichtbar, das sich langsam aber sicher aus dem schützenden Wald heraustraut und auf die Wiese vor uns tritt: Ein Jährlingsbock – genau das Stück Rehwild, auf das wir gewartet haben. Der Bock zieht auf die Wiese vor uns und Marlon gibt mir das Zeichen, mich in Position zu bringen. Meine Nervosität steigt, meine Atmung beschleunigt sich. Das ist also dieses Jagdfieber. Ich atme bewusst tief durch, halte kurz inne und gehe alle notwendigen Schritte durch: Habe ich Kugelfang? Habe ich die passende Vergrößerung im Zielfernrohr gewählt? Sitze ich stabil? Kurze Rückversicherung mit Marlon, der den Bock weiter mit dem Glas beobachtet. Langsam bewegt sich der Bock vorwärts und steht schließlich auf etwa 80 m Entfernung breit. Die perfekte Chance. Ich spanne die Waffe und atme nochmals durch. Das Absehen liegt ruhig auf der Kammer. Ich warte, bis der Bock sein Haupt erhebt. In diesem Moment fühlt sich alles perfekt an. Ich erhöhe kontinuierlich den Druck auf dem Abzug, der Schuss löst sich und der Bock liegt im Knall.
Ausatmen. Durchrepetieren und warten. Der Bock bleibt liegen. Waidmannsheil!
Erleichterung und Demut erfüllen mich. Die Aufregung ist verflogen und ich bin ganz ruhig. Wow. Am Ende ging alles ganz schnell und es passte perfekt.
Wir baumen in aller Ruhe ab. Im letzten Büchsenlicht sehe ich meinem Bock am Waldrand liegen. Der Einschuss der .308 sitzt gut auf dem Blatt; so wie wir es im Kurs gelernt haben. Das ist er also, der perfekte Jungjäger-Bock. Für mich und auch für Marlon, der genau so ein Böckchen für mich im Kopf hatte.
Einige Minuten sitze ich neben dem Böckchen in der Wiese. So wie sich die Anspannung löst, steigen mir Tränen der Dankbarkeit und der Erleichterung in die Augen. Einige Augenblicke später erhält der Bock seinen letzten Bissen und ich nehme dem Brauchtum entsprechend von meinem Mentor meinen allerersten Bruch entgegen. Stolz stecke ich ihn an meine Kappe und berge den Bock von der Wiese.
Kurze Zeit später treffen wir uns an der Wildkammer zum Aufbrechen. Für mich das zweite Mal und daher immer noch etwas zaghaft – ist dieses Böckchen doch wesentlich zierlicher als der kleine Keiler, den ich Anfang April vor mir hängen hatte. Bracke Abby, die uns begleitet, bekommt natürlich auch ihren Teil der Beute.
Nun hängt der Bock in der Kühlung und ich greife auf dem Rückweg zum Auto in meine Tasche und habe die Patronenhülse in der Hand. Noch einmal kurz Innehalten, bevor ich ins Auto steige. Was für ein Abend. Was für ein gelungener Start ins Jägerleben.
Für Interessierte im Nachgang einige Worte zu den technischen Details: Zuvorkommenderweise durfte ich Marlons Waffe leihen, eine Blaser R8 im Kaliber .308 mit der RWS Hit Short Rifle Patrone. Ausgestattet ist die Waffe mit einer Leica Magnus Optik und einem Hausken JD 224 lite Schalldämpfer.
Abschließend möchte ich mich bei Marlon aus vollem Herzen bedanken. Er hat mich nicht nur geduldig auf meinen ersten Bock geführt, sondern auch zahlreiche Tipps mit mir geteilt, mir eine großartige Waffe zur Verfügung gestellt, mich mit der Waffe vertraut gemacht und für das nötige Selbstbewusstsein als angehende Jägerin gesorgt hat.
DANKE, denn am Ende ist Jagd vor allem eines: Teamwork!
Wie gehe ich das erste Stück nun an – nicht nur auf der Jagd selbst, sondern vor dem ersten Ansitz?
Einige Tage später: Mittlerweile ist der Bock fachmännisch zerwirkt, vakuumiert und sicher in der Gefriertruhe verstaut. Rückblickend habe ich vieles mitnehmen können. Worauf es – in meinen Augen – ankommt, wenn es um die Jagd auf das erste Stück Wild geht:
Für mich war es Gold wert, an der Seite eines erfahrenen Jägers in Jägerleben zu starten. Auf die Expertise eines Jagdführers vertrauen zu können verhindert, sich selbst zu sehr unter Druck zu setzen. Gerade am Anfang soll alles sicher sein. Vier Augen sehen bekanntlich mehr als zwei, und so ist gerade das Ansprechen des Wildes einfacher mit einem Fachmann an meiner Seite. Außerdem gibt es einige Faktoren, die man als Jungspund oft noch nicht auf dem Schirm hat: Welcher Sitz ist der passende? An welcher Ecke tritt das (Reh-)Wild am ehesten aus dem Bestand? Aus welcher Richtung kommt der Wind und welche Tageszeit bietet sich an?
Abgesehen von einem Jagdführer sollte man selbst auch einige Vorüberlegungen anstellen und sich nicht kopflos ins Jagdvergnügen stürzen: Ich habe mich gefragt, welche Wildart bietet sich an bzw. welche Wildart kommt in diesem Revier infrage? Wie sieht die Freigabe diesbezüglich aus und worauf muss ich mich beim Ansprechen konzentrieren? In meinem Fall war die Freigabe Schmalrehe und junge Böcke. So lag der Fokus beim Ansprechen auf einem geringen Wildkörper, kleinem Gehörn und bei Schmalrehen auf einer geraden Bauchlinie und nicht vorhandener Spinne, um führende Ricken sicher ausschließen zu können.
Ein weiterer Punkt, den es zu beachten gilt, ist die Ausrüstung. In meinem Fall durfte ich mich nicht nur auf die Erfahrung und Motivation meines Lehrprinzen verlassen, sondern auch auf seine Ausrüstung zurückgreifen. Nicht nur auf den jeweiligen Ansitzen, sondern bereits vorher während einiger Trockenübungen. Auch das trockene Training ist eine gute Vorbereitung, da die Vertrautheit mit der Büchse und der entsprechenden Zieleinrichtung die anfängliche Unsicherheit reduziert und so Flüchtigkeitsfehler vermieden werden können. Ich muss für den ersten Jagderfolg nicht zwangsläufig bereits das volle Ausrüstungsrepertoire im Schrank haben, zumal ich selbst noch nicht entschieden habe, welche Büchse ich führen möchte. Daher bin ich dankbar, auf eine Leihmöglichkeit zurückgreifen zu können.
Und letztendlich die mentale Komponente: In der Theorie wurde bereits damals im Jägerkurs besprochen, was zu beachten ist, und was uns erwarten wird. Doch wenn es dann wirklich so weit ist, sieht die Lage doch ein wenig anders aus. Für jeden von uns. Die einen sind aufgeregter, die anderen eher weniger. Für mich war es sinnvoll, vorher in Gedanken nochmal alles durchzugehen und mir bewusst zu machen, dass wir auf wildlebende Tiere jagen werden, dass es am Ende in meiner Verantwortung liegt, dem ausgewählten Stück eine saubere Kugel anzutragen, um es waidgerecht zu erlegen und so unnötiges Leid zu vermeiden. Was zuvor noch weit entfernt oder gar abstrakt erschien, nimmt so bereits im Kopf Farbe an und hilft auf diese Weise, mit eventuell auftretendem Jagdfieber oder Aufregung besser fertig zu werden.
Mein großes Anliegen war, mir die größtmögliche Sicherheit bei der Jagd auf mein erstes Stück zu verschaffen und ich denke, alles zuvor Genannte hat dem Gelingen dieses Ansitzes schließlich Rechnung getragen. Natürlich war ich aufgeregt – das Jagdfieber gehört dazu – aber die physische und mentale Vorbereitung hat mir geholfen, richtig damit umzugehen und Flüchtigkeitsfehler zu vermeiden. Umso schöner, dass all das nur der Anfang einer großen Reise war und dass es noch so viel mehr zu entdecken, zu erleben und zu lernen gibt.
Waidmannsheil!